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Ifakara - eine Liebesgeschichte

Autorenbild: Rahel ErniRahel Erni

2011 reiste ich das erste Mal nach Ifakara, um dort an einer Schule zu arbeiten. Es dauerte nicht lange und ich fand in diesem Dorf meine zweite Heimat. Aber was ist es, dass mich immer wieder aufs Neue in den Bann zieht? Was macht es aus, dass ich mich hier so frei und glücklich fühle, wie an keinem anderen Ort auf der Welt? In diesem Bericht versuche ich diese spezielle Liebe etwas näher zu erklären.

 

Ifakara liegt ca. 460 km süd-westlich von Dar es Salaam und zählt ca. 99'000 Einwohnende (2016). Obwohl die Zahl der Einwohnenden auf eine Stadt schliessen lässt, ist Ifakara nach wie vor sehr ländlich und wie ein weitläufiges Dorf aufgebaut. Die Infrastruktur gleicht teilweise mehr einem kleinen Bergdorf in der Schweiz und trotzdem bietet es alles, was man zum leben braucht.

Obwohl der Weg von Dar es Salaam nach Ifakara sehr mühsam ist und mit einem Privatauto mindestens 8 Fahrstunden dauert, lohnt sich die Fahrt nur schon der Reise wegen. Ich habe die Strecke schon unzählige Male auf mich genommen und jedes Mal war es eine kleine Entdeckungsreise:

 

Der Weg ist hier nicht das Ziel - aber er ist auch wunderschön

Die erste Herausforderung ist jeweils überhaupt aus der Millionenstadt Dar es Salaam rauszukommen, ohne im Stau stecken zu bleiben. Aber ist dies erstmal geschafft, kann man noch kilometerweit die tropische Küstenregion mit ihrem sandig-weissen Boden und den hochgewachsenen Palmen bewundern. Es folgt eine lange Strecke durch endlose Ebenen. Ein fruchtbares Ackerfeld reiht sich an das andere und alle scheinen bis zum Horizont zu reichen. Die Ebenen werden zuerst von kleinen Hügeln und dann immer höheren Bergketten gebrochen. Die bis zu den Gipfeln stark bewachsenen, grünen Hügel bilden eine magische Brücke vom Land zu den grossen, bauschigen Wolken am Himmel. Und kaum sind die Hügel in Sichtweite, säumen auch immer mehr kleine, einfache Häuser den Strassenrand. An gewissen Orten verkaufen die Leute Gemüse und Früchte, welche sie zu kleinen, bunten Pyramiden aufgetürmt haben. An anderen Stellen warten junge Männer mit ihren Motorrad-Taxis in kleinen Gruppen auf Kundschaft. Und immer wieder fährt man an Gruppen von Kindern vorbei, die entweder grad von der Schule nach Hause oder von zu Hause in die Schule gehen. Mit ihren blendend weissen Schuluniformen bilden sie einen grossen Kontrast zu den erdigen Strassen und einfachen Häusern in den Dörfern.

Nach knapp 200 km lässt man als letzte grosse Stadt Morogoro hinter sich. Sie verbindet einige der wichtigsten Strassen des Landes und trotzdem ist es keine besonders schöne Stadt, aber für eine kurze Verpflegungspause ist sie perfekt. Nach Morogoro führt die Strasse über zahlreiche kleine Hügel, bevor man zum nächsten Highlight kommt: Während 50 km durchquert man den Mikumi Nationalpark. Mit etwas Glück fährt man an grasenden Gnus, Elefanten und Antilopen vorbei oder entdeckt neben den Bäumen die majestätischen Giraffen. Wer das erste Wildtier entdeckt, erhält von den Mitreisenden jeweils ein Bier spendiert. Ich bin jedes Mal so kribbelig und nervös, wenn wir in den Park hineinfahren, dass ich leider noch nie ein Bier spendiert erhalten habe. :-) Mit dem Wildtier-Abenteuer endet auch schon bald die Asphaltstrasse. Die letzten 70 km sind Naturstrasse, die besonders in der Regenzeit in einem miserablen Zustand sein kann. Für diesen letzten Abschnitt braucht man häufig nochmals 3 Stunden und einen harten Kopf, denn diesen schlägt man sich durch das Gerüttel bestimmt mindestens alle 5 Minuten einmal an. Dafür ist hier die Landschaft meiner Meinung nach absolut faszinierend: Die rote Lehmstrasse schlängelt sich durch den scheinbar endlosen Dschungel. Am Strassenrand reiht sich ein Dorf an das andere und jedes Dorf scheint langsam vom Dschungel verschlungen zu werden. Hohe Bergketten thronen wie grosse Wächter über die Gegend und die Urwälder, mit welchen sie bewachsen sind, wirken mystisch und zum Teil als hätte man sie aufgemalt. Unvorstellbar die Dunkelheit, in welche die Dörfer bei Nacht gehüllt werden. Denn einen Stromanschluss gibt es hier fast nirgends.

Und ist man an unzähligen Affen vorbei gefahren, hat zahlreiche kleine Bäche überquert und hat die spielenden Kinder am Strassenrand hinter sich gelassen, kommt da plötzlich wieder eine asphaltierte Strasse und ein riesiger Kreisel. Plötzlich scheinen da wieder Häuser aus dem Nichts zu spriessen. Die bunten Dreirad-Taxis (Bajaji), Motorrad-Taxis und vor allem unglaublich viele Fahrradfahrende beleben die Strasse. Genau so begrüsst Ifakara alle Besuchenden.



 

Karibuni Ifakara - Willkommen in Ifakara

Eine einzige asphaltierte Strasse durchquert Ifakara und teilt das Dorf in der Mitte. Die Strasse dient als Hauptverkehrsachse für die Dorfbevölkerung, aber auch für jeglichen Transitverkehr, welcher von Morogoro bis nach Mahenge führt. Aber auch der etwas auswärts gelegene Zugbahnhof ist sehr wichtig für das Dorf. Hier fährt 2 Mal wöchentlich die TAZARA (Tanzania-Zambia-Railway) durch. Der Zug kommt von Dar es Salaam und fährt durch ganz Tanzania bis nach Zambia. Ifakara besitzt sogar eine kleine Landepiste für Propellerflugzeuge und ist somit auch über die Luft erreichbar. Das Dorf ist aber auch bekannt für sein grosses Spital und das Forschungsinstitut für Tropenkrankheiten. Das Spital wurde 1927 von den Schweizer Baldeggschwestern und das Forschungsinstitut 1957 vom Schweizer Tropeninstitut gegründet. Beides Gründe, weshalb Ifakara einigen SchweizerInnen durchaus ein Begriff ist.

Aber auch sonst muss man hier nichts missen. Und das ist genau der erste Punkt, den ich an diesem Ort so faszinierend finde: Obwohl alles sehr einfach aufgebaut ist, bekommt man hier alles, was man zum Leben braucht. Es hat nichts im Überfluss, aber von allem genug: Auf dem grossen Dorfmarkt werden auf den dicht aneinander stehenden Holzständen jegliche Art von Gemüse, Früchten, Getreide und Gewürzen angeboten. Je nach Richtung des Windes steigt einem der Geruch von Tomaten, Chilli, Mangos, Curry oder der lehmigen Erde in die Nase. Lautstark wird die Ware angepriesen und wenn man nicht aufpasst, kann man sich schon mal zwischen den Ständen verlieren. In den kleinen Metzgereien am Strassenrand hängt das Fleisch an den Haken und der Fischfang vom Morgen wird in grossen Körben auf Fahrrädern durchs Dorf chauffiert und auf Wunsch bis vor die Haustüre geliefert. In den Nebenstrassen türmen sich vor den kleinen Läden Pfannen, Fahrradschläuche, Stoffe, Tupperware, Besen oder Schuhe. Und in den einzelnen kleinen Supermärkten kriegt man sogar einen Schokoriegel, Kekse oder Wein aus aller Welt. Und das Beste ist: In dem bunten Treiben ist das Einkaufen immer wieder ein besonderes Erlebnis. Man muss genau wissen, was man braucht und wo man es kriegt, sonst irrt man plötzlich den ganzen Tag in den Strassen rum. Aber auch dann wird einem bestimmt sehr zuvorkommend geholfen - weil man dies in Ifakara so macht.


 

Mein Ort der Ruhe

Obwohl man auf den Strassen im Dorfzentrum besonders gut aufpassen muss, dass man nicht von einem Fahrrad oder Motorrad überrollt wird, strahlt Ifakara eine unglaubliche Ruhe aus. Liegt man abends im Bett wird man vom Zirpen der Heuschrecken und in der Regenzeit vom Gequake der Frösche in den Schlaf gewiegt. Und sobald die ersten Sonnenstrahlen durch die Baumwipfel scheinen, beginnen die Störche mit ihren Schnäbel zu klappern, die ersten Hähne der Nachbarn krähen, und bald schon stimmen auch die kleinen Vögel in den Gesang ein. Der Muezzin singt seine Gebete und die Kirchglocken rufen zur Morgenmesse. Es dauert dann nicht mehr lange, bis man in der Ferne ein paar Kinder lachen und ab und zu ein Moped vorbeifahren hört. Das Dorf erwacht, tut dies aber in einer unbeschreiblichen Gelassenheit und Ruhe.

Besonders eindrücklich kann man diese Ruhe jeweils während der Regenzeit wahrnehmen. Denn währenddem sich die schweren, schwarzen Regenwolken vor die Sonne schieben und das ganze Dorf in eine ungewohnte Dunkelheit legen, scheinen die Vögel in den Bäumen zu verstummen und das Dorfleben kommt für einen kurzen Moment zum erliegen. Und aus dieser Stille heraus schwellt langsam das fast schon bedrohende Trommeln des Regens auf den Wellblechdächern an. Innert weniger Sekunden wird aus dem Klopfen ein Hämmern und dann ein ohrenbetäubendes Tosen. Für kurze Zeit hat man das Gefühl der Regen scheint alles zu erschlagen und in sich zu ersticken, aber es dauert nicht lange, da gewöhnt man sich daran und findet in dem alles erfüllenden Geräusch eine ungewohnte Vertrautheit. In der Nacht wiegt mich der Regen auf den Dächern genau so gut in den Schlaf, wie das Zirpen der Heuschrecken.

Innert weniger Minuten verwandeln die Wassermassen die Strassen im Dorf zu kleinen Bächen und ganze Rasenflächen zu kleinen Seen. An den meisten Tagen bricht der Regen dann aber genau so schnell wieder ab, wie er gekommen ist. Die Sonne kämpft sich langsam ihren Weg hinter den Wolken hervor und legt ihre magische Wärme über das ganze Dorf. Und in den wenigen Minuten dieser Ablösung kann man oftmals unzählige Regenbogen über den Dächern entdecken. Man sagt hier, dass wenn es regnet und gleichzeitig die Sonne scheint, gerade ein kleines Löwenbaby geboren wird. :-)

Die Wellblechdächer beginnen zu dampfen und auch die Bäche auf den Strassen versickern innert kurzer Zeit und bald schon geht das alltägliche Leben weiter wie zuvor.

 

Das Leben in der Natur und die Natur im Leben

Ifakara wächst und entwickelt sich in diesen Jahren unglaublich schnell. Mehr Einwohnende brauchen mehr Platz zum Leben und auch die neue Technik hat schon längst Einzug gehalten. Immer mehr Haushalte werden an das nationale Stromnetz angeschlossen und wer neu baut, baut mit einer direkten Wasserversorgung. Der Lebensstandard ist mit den neuen Möglichkeiten in den letzten Jahren gestiegen. Und trotzdem wird die Natur dadurch nicht einfach eingenommen. Wo es geht, baut man um die Bäume rum, denn man schätzt deren Schatten und Früchte. Die meisten Bewohnenden sind zu einem grossen Teil selbstversorgend. Sie bauen Reis, Mais und Gemüse an, hirten Kühe, Ziegen oder Hühner oder fangen Fische im Fluss. Die Leute sind sich bewusst, wie stark sie von der Natur abhängig sind. Diese Nähe zur Natur finde ich bewundernswert, birgt aber auch eine ungewissen Zukunft in sich. Denn so werden zum Beispiel giftige Pestizide gesprüht, um die Ernte zu steigern oder der Abfall wird im Hinterhof verbrannt, weil man halt keine andere Möglichkeit hat. Dies sind Entwicklungen - genauso wie der Klimawandel -, die auf die Dauer genau diese Abhängigkeit den Menschen hier zum Verhängnis machen werden. Auf der anderen Seite ist der Alltag durch die zum Teil sehr simple Lebensweise unglaublich entschleunigt. Im Vergleich zur europäischen Hektik empfinde ich dies immer als wunderbare Chance, um endlich wieder einmal durchzuatmen und zu entspannen. Das Kochen mit Holzkohle oder auf dem offenen Feuer, das Wäsche waschen von Hand, das Wasser schleppen oder der täglich frische Einkauf... dies alles benötigt viel mehr Zeit, als ich mir dies mit all unseren Maschinen gewohnt bin. Es ist sicher mühsam, wenn man dies tagtäglich tun muss und bestimmt auch ein entscheidender Faktor, weshalb hier jegliche Art von Entwicklung viel länger auf sich warten lässt. Trotzdem bringt es eine gewisse Gemütlichkeit. Und fällt der Strom zwischendurch wieder aus, so lernt man einmal mehr spontan und innovativ zu sein. Hier hat man nichts unter voller Kontrolle und langfristige Planung ist meistens sinnlos. Und genau dies nimmt mir einen enormen Druck und macht es möglich zwischendurch auch einfach mal geniessen zu können.


 

Ifakara: Ein Gedicht fürs Auge Das saftige Grün der Pflanzen in Kombination mit der rot-braunen Erde und dem stahlblauen Himmel mit seinen flockigen, weissen Wolken, die zum Anfassen nah scheinen... man könnte es nicht schöner Zeichnen. Überall ragen die Palmen stolz in den Himmel und darunter werden sie von den Bananenpflanzen und Jasmin-Bäumen sanft umrahmt. Am Rande des Dorfes befinden sich weite gold-grüne Reisfelder, die bis zu den Bergen am Horizont zu reichen scheinen.

Auf der anderen Seite wird die Dorfgrenze durch den imposanten Kilombero-Fluss markiert:

Er ist das Daheim von Krokodilen und Nilpferden und natürlich zahlreichen Fischen. Er scheint aus dem Nichts zu kommen und schlängelt sich bis ans Ende des Horizonts. Ein scheinbar ruhiges Gewässer, welches aber ungeahnte Kräfte entwickeln kann. Zur Regenzeit bringt er sein Wasser bis ins Dorf, so dass man nicht mehr weiss, wo er überhaupt seine Ufer hat.

Und dann sind da noch die atemberaubenden Sonnenuntergänge: Währenddem sich langsam ein dunkler Vorhang über das Dorf legt und sich alle nach Hause begeben, verfärbt sich der Himmel feuerrot, violett, orange oder gold-gelb. Die Vögel steigen aus dem Baumwipfeln empor und sorgen so für ein spektakuläres Schatten-Licht-Spiel am Himmel. Die Sonne spiegelt sich im Fluss, so dass die Fischer in ihren Einbaum-booten über ein goldenes Meer gleiten. Und kaum hat man dieses magische Schauspiel im Gedächtnis abgespeichert, wird es auch schon dunkel und Ifakara verfällt in einen mystischen Schlaf. In gewissen Gegenden wird es so dunkel, dass man seine Hand nicht vor den Augen sehen kann, da es auch nirgends Strassenlampen gibt. Und genau dort wird man Teil eines weiteren Schauspiels, dass wir uns in Europa leider nicht mehr so gewohnt sind: Die Sterne funkeln zu Tausenden am Himmel und der Mond wird zur einzigen Lichtquelle über weite Strecken. Und zwischendurch fliegt eine Sternschnuppe übers Himmelszelt und ich wünsche mir dann jeweils, dass ich für immer hier bleiben kann.






 
 
 

1 comentario


rgbruhwiler
rgbruhwiler
26 may 2020

Liebe Rahel, lieber George

Du hast einen wundershönen Lobgesang auf das Leben in Afrika und dein geliebtes Ifakara verfasst. Herzlichen Dank.

Als wir (die Interteamler und ich) in Kwiro lebten, war die Reise nach unten ins heisse Kilomberotal auch ein Abstieg ins staubige Ifakara. Wir hätten um nichts in der Welt die Wohnorte getauscht.

Ifakara hat sich natürlich in den letzten 50 Jahren gewaltig verändert. Sicher auch Mahenge.

Ruaha und Sali waren für uns, die wir die gute Luft von Kwiro und Kasita genossen und die Annehmlichkeiten in den soliden Gebäuden der Missionsstationen wie auch die bescheidenen Einkaufsmöglichkeiten in Mahenge und im UTU-Shop in Kwiro, eher noch Orte des unverfälschten Afrika.

Auch das hat sich natürlich verändert. Aber ich denke,…

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